Thursday, October 16, 2008

"Dienstreise" nach Chile

Am Montag nachmittag bin ich von meiner ersten kleineren Reise zurückgekommen. Sie führte mich in die wunderschöne Küstenstadt Arica nach Chile. Warum dienstlich?? Weil Bolivien seine Visabestimmungen unglaublich verschärft hat und deswegen fast alle, weder Freiwillige noch Austauschschüler hier, kein Visum haben.
Zu den neuen Bestimmungen, neben dem deutschen Führungszeugniss und allen möglichen anderen Dokumenten in den verschiedensten Formen und Sprachen, gehört auch ein internationales polizeiliches Führungszeugnis, dass man sich bei Interpol abholen kann. Letzte Woche war ich deswegen bei Interpol, und ich kam mir vor wie in einem Film der irgendwo in Kuba spielt und auch eine Szene in einem Regierungsgebäude enthält.
Interpol ist mitten in der Stadt nahe dem Plaza Murillo, in einem weißgetünchten, holzverkleidetem dreistöckigen Flachbau, schön vor einem kleinen Plaza mit Palmen gelegen. Bei Reingehen begrüßte mich ein freundlicher, aber gelangweilt dreinschauender Polizist der Nationalpolizei, in seiner grünen Uniform mit schwarzer Krawatte und streng zurückgekämmten Scheitel. Ich wurde von der Pforte in die Büroräume geschickt, und die waren wirklich unglaublich klassisch. Im Warteraum stand eine alte, rote, durchgesessen Coutsch, auf der sich andere Ausländer geduldeten, bis man zur Personalaufnahme aufgerufen wird. An der Decke surrte ein Ventilator, die großen, in schweren Holzrahmen eingelassenen Fenster standen offen und im Warteraum vermischten sich somit die Stimmen der Beamten mit den Geräuschen des Verkehrs und dem Klackern der Schreibmaschienen. Einmal aufgerufen saß ich einem freundlich dreinblickenden, untersetzten Bolivianer gegenüber, der nach der Begrüßung sich aufrecht auf seinen abgewetzen schwarzen Ledersessel setzte, seine grüne Polizeimütze mit Akribie neben seiner Schreibmaschiene auf seinem dunkelen Eichentisch positionierte und anfing, den Fragekatalog abzuarbeiten und feinsäuberlich mit Hilfe eben jener Schreibmaschiene auf irgendein Papierchen zu bannen. Da es in Bolivien keine Postleitzahlen gibt, hat er die meine beim Eintragen meiner deutschen Adresse einfach weggelassen. Es is also aüßerst fragllich, ob eine Beschwerde jemals ankommen würde oder man mich mit dieser Adresse bis nach Deutschland verflogen könnte. Zum Abschluss wurden noch meine Fingerabdrücke genommen, aber nicht nur der vom Daumen wie in Deutschland oder den USA, sondern gleich, wahrscheinlich nur um sicher zu gehen, von allen zehn Fingern. Mit der Sanftheit eines Metzgers drückte ein anderer Polizist meine Finger auf einen dreckigen Vordruck und rollte jeden meiner Finger schön hin und her, damit der Abdruck besonders deutlich verschmiert. Ich frag mich sowieso, wie die im Fall des Falles die Abdrücke abgleichen wollen, weil ich kaum glaube das die Abdrücke geordnet geschweige den digitalisiert werden, und ein Computer-Erkennungsprogramm in einem Büro, das sonst nur mit Schreibmaschienen ausgestattet ist, wird es wohl nicht geben....
Aber zurück zu der Reise nach Chile! Eine Austauschschülerin aus den Phillipinen musste ihr Visum bei einem Konsulat im Ausland beantragen, und das nächste ist nunmal in Arica in Chile. Somit sind noch ein paar andere Leute aus dem Büro und zwei Freiwillige mitgefahren, um den Anlass zu nutzen. Natülrlich rein dienstlich, versteht sich. So ging es also in einem recht gut ausgestatten Bus am Mittwoch morgen in aller Frühe Richtung Chile. Die acht Stunden Fahrt vergingen recht gut, da die Route wiedermal durch wunderschöne Andenlandschaften führte, vorbei an wildgrasenden Lamaherden oder Flamencos, die in spiegelklaren Gebiergsseen ihr Dasein verbrachten. Die einzige Überraschung hatten wir an der Grenze. Einer der Freiwilligen hat bei Einreise nur ein 30 Tage Visum bekommen, war also seit einigen Tagen illegal, oder sagen wir, klandestin in Bolivien. Der Grenzer wollte nicht seinen Ausreisestempel in den Pass drücke, ohne dass er für jeden Tag ohne Aufenthaltsgenehmigung eine Gebühr von 15 Bolivianos zahlt. Wir diskutierten und bettelten, doch nach einem geflüstertem Gespräch mit einem seiner Kollegen kam er nur kopfschüttelnd zurück und sagte, wir müssten zahlen. Auf die vorsichtige Frage, ob es nicht noch eine andere Möglichkeit gäbe, das Problem beizulegen, guckte er uns kurz an, schielte rüber zu seinem Kollegen, der gerade beschäftigt war und gab uns als Antwort ein mehrdeutiges "Ich helfe euch, wenn ihr mir helft" zurück. Ein paar kleine Scheinchen Bolivianos wechselten den Besitzer, und eine halbe Minute später standen wir alle vor dem Büro - mit Ausreisestempel. Ärgelich war zwr schon, dass wir was bezahlen mussten, aber wenigstens war das Schmiergeld geringer als die Strafgebühr. An der Grenze konnte man noch einige andere interessante Sachen beobachten. Zum Beispiel die ganzen Autotransporte, die halb verrostetet und schon arg gebeutelte Modelle nach Bolivien brachten. Bolivien ist sowas wie der Autofriedhof Südamerikas, was sich im tagtäglichen Leben wie auch an der Grenze mal wieder bewies.
In Arica hatten wir uns in ein wunderschönes Apartment mit Blick auf den Pazifik eingemietet, und die Tage verbrachten wir meistens im kleinen, aber wunderschönen Stadtkern oder am Strand. Dieser Abschnitt Chiles gehörte mal zu Bolivien, wurde aber nach dem Salpeterkrieg, doer auch Pazifikkrieg, von Chile annektiert. Wegen diesem Krieg haben die beiden Länder noch heute keine diplomatischen Beziehungen, und die Schilderung ist so verschieden wie die Länder selbst. Die Region ist reich an Salpeter und Kupfer, welches im 19. Jahrhundert meist von Chilenen abgebaut worden ist. Bolivien erhob allerdings Steuern. Die Chilenen sagen, dass trotz bezahlter Steuern die Mienen von Bolivien besetzt wurden, um mehr Geld zu forden. Für Chile untragbar, es gab einen Krieg, den Chile gewann und die region wurde sich einverleibt. Die Bolivianer sagen folgendes: die Chilenen wollten ihre Gebiete ausweiten und griffen an Karneval, als alle Bolivianer besoffen und ausgelassen feierten, die Gegend aus einem Vorwand an. Da Bolivien alle seiner Kriege verloren hat, ging auch dieser verloren. Ich glaube, dass die bolivianische Schilderung wohl eher stimmt, da Chile im gleichen Krieg bis nach Lima in Peru marschierte und auch einige Gebiete von Peru annektierte.
Chile ist heute das reichste Land Südamerikas, und man sieht es an den Straßen, Häusern und Autos. Alles ist mehr geregelt, und viel viel teuerer. In Arica gibt es trotzdem gute Schwarzmärkte. Das Meer eignet sich gut zum Surfen, aber abgesehen von der Stadt ist die gegend wüstenähnlich sandig. Arica ist die Stadt des ewigen Frühlings mit kaum Niederschlag, was nicht gerade den Pflanezen gut tut. Arica ist berühmt für "El Morro", ein Fels, der in den Pazifik ragt und von dem man einen wunderschönen Ausblick auf den Ozean und die Stadt hat.
Die Tage vergingen wie im Flug, beim Faulenzen in der Sonne verliert man irgendwie das zeitgefühl, auch wenn ein gelegentliches Bad im erstaunlich warmen (20 Grad) Pazifik mich ab und an richtig wach machte. Der Unterschied des Sauerstoffgehaltes zwischen 4000 und 10 Höhenmetern ist gewaltig. Beim Joggen am Strand war ich erstaunt, das ich ohne Probleme 40 Minuten laufen konnte, ohne hier sonderlich viel gelaufen zu sein. In Chile habe ich außerdem meinen ersten Delfin gesehen, der aber leider tot an den Strand gespült wurde und dem Vögel und Straßenhunde arg zugesetzt hatte.
Die Rückreise verlief natürlich nicht wie geplant. Eigentlich wollten wir am Sonntag morgen los, aber die Chilenen haben weiß Gott warum mitten im Oktober ihre Uhr eine Stunde vorgedreht, was weder in Bolivien üblich ist noch uns bekannt war, so dass wir nach alter Zeit pünktlich am Busterminal waren, nach neuer aber zu spät! Deswegen blieben wir ein Tag länger als geplant, was aber bei dem wunderschönen Wetter nicht weiter schlimm war.

1 comment:

Jörg said...

Du machst es dir aber gemuetlich, wa?